Tim ohne Struppi

Tim Strasser

Es ist nicht immer einfach mit Sachsen, es ist nicht immer einfach mit dem sächsischen Wein. Aber, ich gebe es zu, ich mag ihn trotzdem. Meistens, jedenfalls.
Zwanzig Jahre nach der Wende scheinen die Felle beim Wein verteilt, man optimiert. Intensiv erweiterte Landwirtschaft nannte man das unter Erich (http://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Honecker). Hier und da stagniert es etwas. Auf recht hohem, auch preislichem Niveau, aber man stagniert. Ein Fall für die Youngster! Wo sind die Rebellen? Wo ist die Jugend? Wo sind hier die „Gipfelstürmer“? „Message in a bottle“? „SüdpfalzConnexion“… SaxonConnexion?
Doch plötzlich, wie aus dem Nichts taucht ein Name aus dem Nebel des Elb River Valleys auf: Tim Strasser. Rothes Gut Meißen. Häh? Infos? Kaum. Ich muss da hin. Punkt.
„Runter von der B6, durch’n Tunnel, dann gleich rechts und wieder rechts. Tschuldigung, kann nicht so gut sprechen, mein Weisheitszahn“, nuschelt Strasser am Telefon. Oh, Mann.

In der dörflichen Bronx

Arschkalt, Nieselregen, Wind. Ich biege ein auf ein altes Gut, welches schon eindeutig bessere Zeiten gesehen und die LPG ihre Spuren hinterlassen hat. Keine Tafel, kein Schild. Durch eine alte Gardine werde ich beobachtet, eine schwarze Katze kreuzt meinen Weg. Keine Sorge, meine 45er habe ich immer im Handschuhfach.
Aber die Situation entspannt sich. Auf dem Gelände wird gebaut und Tim Strasser kommt mir lächelnd entgegen. So weit das mit Troublemaker Zahn möglich ist. Die Knarre bleibt im Auto.
Rein in den ehemaligen Schweinestall. Außen (noch) Pfui, innen schon hui. Alte Mauern, 250 Jahre alt. Strasser und seine Leute haben sich durch 40 Zentimeter jahrzehntealten Schweinedreck gefressen. Das ist jetzt der „Weinkeller“.
Edelstahltanks und einige Holzfässer, so stellt man sich einen Keller vor. „Könnte etwas tiefer sein, aber…“ ich finde es ausreichend. Im Vergleich zu draußen geradezu heimelig. „Wollen wir was trinken?“ Das gefällt mir. Nur kein verkosten.
Während der Kollege den ersten Wein holt, gibt es etwas Geschichte.

Ins kalte Wasser

Strasser hat eine Lehre auf Schloss Wackerbarth in Radebeul gemacht, dann eine Ausbildung in Würzburg, Studien in Österreich. Und gleich danach, seit 2010, das eigene Weingut. Kaltes Wasser. Besonders kaltes Wasser, denn 2010 war auch in Sachsen ein Arschjahrgang. Ist leider so. Dazu Hagelschlag im August, Murphys Law.
Aber Strasser hat noch einen Vorteil. Er hat genug Rebstöcke. Eine Menge sogar, mit den aktuellen Aufrebungen sind es bald zehn Hektar. Alles Fläche. Steil, aber keine gemauerten Steillagen wie in Radebeul um die Ecke. Das ist kein Zufall. Strassers Vorfahren stammen aus Ungarn und haben den Weinbau praktisch mit im Koffer gehabt. Das ist jetzt fünf Generationen her. Seitdem betreibt die Familie in Meißen Weinbau, bis zum vorletzten Jahr als Zulieferer für die örtliche Winzergenossenschaft.
Das hätte auch anders kommen können. Denn vor ein paar Jahren hatte der Prinz, genau der aus Proschwitz, angeklopft und wollte den Weinberg haben. „Der ist für meinen kleinen Prinzen“,  sagte Papa Strasser „Aber ich könnte da was vermitteln.“ So blieb den Strassers Option auf ihr eigenes Weingut und der Prinz zur Lippe bekam seine neue linkselbische Lage „Kloster Heilig Kreuz“.

Schon wieder Exoten

Zurück im Keller. Die Rebsortenvielfalt ist typisch für sächsische Verhältnisse. Goldriesling, muss wohl sein, auch hier. Dazu Müller-Thurgau, Helios, Hibernal. In homöopathischen Dosen auch noch Riesling, Traminer, Grau- und Weißburgunder, Scheurebe, Dornfelder, Spätburgunder, Regent.
Hibernal und Helios, schon wieder solche Exoten. „Keine Verlegenheitslösung. Die finden wir spannend“, sagt man im Keller.
Der Hibernal hat etwas mit Riesling zu tun. Zu Beginn kommt der 2010er mit etwas  matschiger Pampelmuse in der Nase. Im Mund dann ein lang anhaltendes Eisbonbon, mit eben jener, diesmal unreifen Pampelmuse. Erinnert tatsächlich an Scheurebe und Riesling.
Zwischendurch machen wir Pause. Mit Wein und Glas natürlich. Wir gehen zu Fuß ungefähr 100 Meter und sind im Weinberg. Ratsweinberg Meißen. Wiege des sächsischen Weinbaus mit Blick auf die Meißner Burg. Phantastischer Blick, trotz Arschkälte. Geniale Lage. Potential en masse. Zurück in den warmen, sechs Grad warmen Keller.

Pfirsiche und Bananen von Discounter

Jetzt der 2010er Helios. Bei dem Namen macht es klick in meinem Kopf. Sonne auf griechisch, so hieß die Zonenversion des Metaxa. Die älteren Leser werden sich erinnern. Warum die Rebsorte so heißt vermag ich nicht zu sagen. Der Wein erinnert mich an unreife Pfirsiche und Discounterbananen. Wenn Sonne, dann eher kühle Abendsonne. Zu Fisch würde ich den mögen… wollen.
Der erste Müller-Thurgau-Jahrgang ist verkauft. Darum darf ich schon zum 2011er greifen. Etwas grün, aber doch geschliffener als der Jahrgang 2010. Frischer Apfel mit einer ordentlichen Portion Säure.
Zum Schluss noch ein paar Faßproben. Frisch filtriert und noch mit einer gewissen Widerborstigkeit zeigt sich der neue Jahrgang durch die Bank etwas runder, hat etwas mehr Eleganz. Die Bedingungen waren besser, Erfahrung beginnt zu greifen. Das merke ich auch beim Spätburgunder, der mich teilweise an den aus Schloss Proschwitz erinnert. Der beste den ich aus der Region kenne. Sogar der Regent, eine Sorte bei der ich gerne einen Mindestabstand von zwei Metern halte, spüre ich in mir einen gewissen Spaß bei trinken.

Lust auf Neues

„Wir würden alle Weine gerne länger liegen lassen, aber…“,sagt Tim Strasser. Ja, das „Jungweinproblem“ holt uns auch in Sachsen ein.
Trotzdem, alle Weine haben etwas gemeinsam. Sie haben die regionale Säure, ätzen aber nicht alles erbarmungslos nieder. Die Ecken und Kanten mögen nicht jedem gefallen, gehören aber dazu.
Ich bin angetan. Auch von den Flaschen. Schönes Etikett, alle mit Schraubverschluß. Klar, man probiert sich noch aus. Allerdings sind die Weine schon auf einen sehr ordentlichen Niveau. Hier ist ein Team von jungen Leuten, die Lust auf etwas Neues haben. Das macht Mut und erinnert in Teilen an Markus Schneider(http://www.captaincork.com/Weinleute/markus-schneider-ellerstadt-pfalz-rotwein-kauftipp). Wenn Tim Strasser es nicht vergeigen sollte, kann er der Weinregion sehr gut tun und Schwung in den Laden bringen.
Ich habe allerdings so viel „verkostet“, dass ich nicht mehr 100%ig fahrtüchtig bin. Kann aber die schwarze Katze von eben überreden mich nach Hause zu fahren. Es ist zwar immer noch arschkalt, aber der Nieselregen hat aufgehört. Alles wird gut.

(Dieser Artikel ist so oder in ähnlicher Form vorher auf captaincork.com erschienen.)



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