Der Weinprinz. (Nicht von Karl May)

Prinz

Vorurteile? Natürlich habe ich Vorurteile. Eine Menge sogar, auch beim Wein. Allerdings versuche ich sie wenigstens auf diesem Gebiet im Zaum zu halten. Dafür gibt es immer wieder positive Überraschungen. Bespiele gefällig? Kein Problem.
Dornfelder taugt nur als Omawein. Er stellt keine großen Ansprüche an Winzer und Trinker. Ist billig und simpel zu produzieren. Den kann jeder, der auf der Volkshochschule das Winzerhandwerk gelernt hat.
Nehmen wir den Goldriesling… Obwohl, das ist definitiv kein Vorurteil. Den hatten wir ja an dieser Stelle erst behandelt und es ist eindeutig bewiesen: Goldriesling braucht eigentlich kein Mensch. Wie den Müller-Thurgau, würde der Captain jetzt sagen…
In diesem Zusammenhang fällt mir ein, dass ich noch einen im Keller habe. Ein 2011er Müller-Thurgau von Schloss Proschwitz in Sachsen, natürlich.
Weil es so ein schöner Tag ist, wäre das vielleicht eine Möglichkeit mit Vorurteilen aufzuräumen.
Also, raus aus dem Keller damit und rauf auf den Balkon. Bei wolkenlosem Himmel und fünf Grad unter Null, eine erstklassige Gelegenheit, den Begriff „Terrassenwein“ für mich neu zu definieren.
Bis der die richtige Trinktemperatur hat, bleibt die Zeit sich mit dem Weingut auseinander zu setzen.
Und weil es so schön ist, fangen wir gleich wieder mit einem Vorurteil an. Ein reicher Prinz, natürlich aus dem Westen, macht rüber und will ein Weingut aufbauen. Ganz so leicht will ich es mir nicht machen.
Dr. Georg Prinz zur Lippe war Unternehmensberater in München und wollte zurück in die Heimat der Eltern. Das ging natürlich nicht nebenbei. Also Job aufgeben und Startkapital locker machen. So kam man zwar nicht als verarmter Landadel, aber auch nicht mit den Taschen voller Geld.
So lagen die Anfänge des Weingutes nicht in einem ehemaligen Interhotel in der nahen Landeshauptstadt Dresden. Die Wiege des neuen Weingutes sollte ein altes Weinberghäuschen sein. Mit Feldbett und kaltem Wasser. Und das gab es nicht nur in der Unterkunft der ersten Monate. Das ganze Unternehmen war sozusagen ein Sprung ins kalte Wasser. Natürlich hatte man die richtigen Kontakte, zum Beispiel nach Castell in Franken. Dort wurden die Trauben in einem alten Laster hingekarrt um sie verarbeiten zu lassen. Technik gab es damals in Sachsen dafür praktisch nicht. Lehrjahre sind auch bei Prinzen nicht immer Herrenjahre. Die ersten zehn Jahre gestalteten sich durchaus schwierig. Nicht nur Land und Weinberge mussten zurückgekauft werden, auch das Schloss. Und ein Weingut musste ja auch noch her. Klar, es gibt Fördermittel und Zuschüsse. Wenn man es richtig anstellt, auch nicht zu knapp. Aber ohne ordentliches Eigenkapital kann man zwar Oligarch in Russland, aber kein Winzer in Deutschland werden.
Zwanzig  Jahre später ist das alles kein Thema mehr. Schloss Proschwitz ist mit einer bewirtschafteten Fläche von rund 80 Hektar inzwischen das größte private Weingut in Sachsen. Man ist angekommen, selbst im VDP. Auch hinter vorgehaltener Hand hört man auch von sächsischen Winzerkollegen keine schlechten Worte über den Weinprinzen. So was ist keine Selbstverständlichkeit, nicht nur in Sachsen.
Auch weintechnisch gesehen ist Schloss Proschwitz inzwischen eine sichere Bank. Selbst mit einem problematischen Jahrgang wie 2010 kommt man gut zurecht, auch wenn man hier auf Rotweine ganz verzichten musste.
Der Jahrgang 2011 liegt wieder im grünen Bereich. Er sorgte für genügend Potential und lässt auch wieder Raum für die Spezialitäten.
Und nicht nur das, zur Weinbergslage „Schloss Proschwitz“ ist inzwischen auch „Kloster Heilig Kreuz“ auf der gegenüberliegenden Elbseite hinzugekommen. Diese hat sich nicht nur als Toplage für Burgundersorten herausgestellt, sie erzeugt auch Spannung in der Kollektion. Denn wie so oft in Sachsen, bringen einige dutzend Meter Entfernung ziemlich unterschiedliche Weine zu Tage. Selbst bei den gleichen Granitböden.
Die Highlights der Proschwitzer Kollektion sind sicher die Weiß- und Spätburgunder, die es auch als „Großes Gewächs“ in die Flasche schaffen. Das ist ein Verdienst des ganzen Teams um Kellermeister Martin Schwarz, der nebenher auch eigene Weinberge bewirtschaftet.
Und jetzt sollte ich doch den Müller Thurgau wieder rein holen.
Der präsentiert sich doch erwartungsgemäß im Glas. Frisch und geradeaus. Ein wenig grüner Apfel, aber sehr authentisch. Nicht so ein künstliches Zeug, welches es auch als Shampoo gibt. Dann haben wir noch etwas unreifen Weinbergpfirsich.
Ich mag es zwar gerne etwas kräftiger, aber ich will nicht klagen. Der Müller-Thurgau ist genau in diesem Moment für mich ein idealer Wein. Ein Wein um nebenbei einen Weinartikel zu schreiben. Was will ich mehr.
Na doch, ich hätte auch an einigen der Lagenweine oder den Großes Gewächsen geleckt. Die habe ich noch aus früheren Jahrgängen in guter Erinnerung. Aber man kann ja nicht gleich alles haben…

(Dieser Artikel ist so oder in ähnlicher Form vorher auf captaincork.com erschienen.) 

 



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